Körperbewusstsein fördern: So hilfst du deinem Kind | Eltern.de

2023-01-05 17:45:41 By : Ms. Shining Xia

Am Anfang machen wir alles richtig: Wir blubbern mit den Lippen auf den Bauch, bis unser Baby sich vor Lachen windet. Wir sagen: "Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen ..." und lenken das Bewusstsein des Winzlings in jede einzelne Fingerspitze. So kommen Kinder gut in ihrem Körper an.

Body Positivity ist auf dem Wickeltisch inklusive, wir lieben jede Speckfalte. Und doch sollten wir im Auge behalten, dass alles, was wir im Lauf der Kindheit über Körper sagen, beim Kind ankommt – auch Kritik und negative Urteile. Dabei geben wir mehr mit, als wir denken. Prägen sogar das spätere Bewusstsein zu Gesundheit, Sexualität und die Körperakzeptanz. Wie kann das gut gehen, von klein auf, mit und ohne Worte?

Ich frage nach bei Dr. Natalie Christner, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie der Universität München. Sie erklärt: "Tatsächlich entsteht schon im Lauf des ersten Lebensjahres ein erstes Körperkonzept." Es bildet sich durch die Interaktion mit der Umwelt, und zuerst vor allem "durch die strukturierte und responsive Eltern-Kind-Interaktion".

Interaktion. Das ist das tausendundeine Mal Wickeln. Jede Berührung, jeder Laut, jedes Lächeln, aber auch jedes Heben der Augenbrauen. Bis heute sieht mir meine inzwischen ziemlich große erste Tochter im Bruchteil einer Sekunde an, wenn ich ein Shirt für zu kurz halte. Manche Verhaltensweisen liegen Eltern sogar in den Genen, wie das Streicheln vom Scheitel über den Rücken. Alle Säugetiere tun es, wir mit den Händen, Vierbeiner lecken diese Bahn entlang. Das beruhigt Babys, da es das Entspannungshormon Oxytocin triggert.

Strukturiert bedeutet, dass wir das Kind auf die Auswirkungen seiner Handlungen aufmerksam machen, häufig, bewusst und "responsiv", also passend zur Situation und als direkte Antwort auf ein Bedürfnis. Kommentare von uns Großen schulen die Körperwahrnehmung der Kleinen: Da liegst du. Das machst du. Und die Minis erkennen: Wenn ich so gucke, ruft das Lächeln hervor. Mache ich Meckergeräusche, kommt jemand zur Hilfe. Wenn ich auf den Finger beiße, tut es weh. Über Berührung lernen Babys ihre Körpergrenzen kennen: Das gehört zu mir.

Am besten begleiten wir das bewusst mit Blicken, Händen und Worten. Beim Wickeln etwa mit Sätzen wie: "Jetzt kommt das Feuchttuch. Nun drehe ich dich auf die Seite", und führen die Drehung mit Händen mit. Das nennt man multimodales Lernen – Lernen at its best. Denn was "Das ist heiß!" bedeutet, das können wir zig Mal sagen. Erst die Erfahrung, wie unangenehm sich der warme Wasserstrahl anfühlt, weckt echtes Verständnis. Psychologin Christner erklärt: "Kinder lernen vor allem, wenn verschiedene Sinneserfahrungen zusammenkommen, visuell, taktil, mit Sprache und der Reaktion der Eltern." Darum stärkt beständige Rückmeldung das Gefühl für Körper und Selbst. Identität und Bewusstsein ziehen in den kleinen Körper ein.

"Wir Erwachsenen konzentrieren uns sehr auf die visuelle und auditive Wahrnehmung“, erklärt Annette Schneider, Professorin für Kindheitspädagogik und Leiterin der Arbeitsgruppe Körperkonzepte und Organwissen. Stimmt, im Erklären und Zeigen sind wir Großen riesig. "Oft fördern Eltern zwar Erfahrungen mit unterschiedlichen Materialien für Hände und Augen, vielleicht noch für die Füße, doch gesamt-körperliche Erfahrungen werden eher vernachlässigt." Und das umso mehr, je älter Kinder werden.

Doch das Fühlen mit allen Sinnen ist essenziell für die Selbsterfahrung von Kindern, und darum sind vielseitige – auch herausfordernde – Angebote zum Ausprobieren von Neuem wichtig, wie Matschen, Herumkugeln auf dem Boden, sich ausgiebig eincremen und nachspüren, Bewegungsangebote. Dazu gehört auch, dass das Krabbelkind nicht nur angezogen ist, sondern sich nackt mit Haut und Haar spüren darf, etwa auf dem Wickeltisch. Die Hände erfassen den ganzen Körper buchstäblich, bis in die Windelzone. Ja, auch das gehört zu dir.

Eltern sind heute bewusster, was Aufklärung betrifft. Aber bei kleinen Kindern? "Für Kinder haben die Genitalien den gleichen Wert wie Ohr, Nase und Bauchnabel", stellt Schneider fest. Sie beobachtet, dass viele Erwachsene trotzdem einen Bogen darum machen: "Die Intimzone darf eher weniger berührt und benannt werden. Kinder jedoch spüren sofort, wenn ein Körperteil anders behandelt wird als andere."

Doch wer will schon ein namenloses Niemandsland entstehen lassen, wenn das Kind eine innere Landkarte des Körpers entwickelt? Wo doch alles Wichtige einen Namen hat, das weiß ja jedes Kind. Also vermitteln wir nach und nach alle biologischen Bezeichnungen wie Penis, Vagina (innen), Vulva (außen), Vulvalippen, Eichel und Vorhaut.

Bei der Klitoris kann man ins Schleudern kommen, da schauten auch bei uns die Omas komisch, als ich sie beim Namen nannte. Dabei wischten auch sie die umgebenden Hautfalten öfter aus. Die Scheu ist aber normal und hat zwei Gründe. Der erste: Wir Erwachsenen empfinden Wort und Zone als sexuell. Der zweite: Unsere Scham sitzt tief. Anette Schneider bestätigt: "Viele Eltern spüren sie, weil auch sie einst mit der gleichen Scheu erzogen wurden."

Unsere Eltern und das Umfeld haben uns geprägt, nun prägen wir unser Kind. Wenn wir es anders machen wollen, müssen wir die Perspektive ändern und erkennen, was wir peinlich finden, und warum. Dann können wir unseren Kindern ein unkomplizierteres Verhältnis zu dem mitgeben, was einst verschämt "Scham" hieß.

Trotz aller Offenheit verlangt die Intimzone besonderen Respekt, auch diese Körpergrenzen verdeutlichen wir – zum Beispiel, indem wir dem Kleinkind zur gegebenen Zeit freundlich, aber bestimmt erklären: "Ich möchte lieber allein sein auf dem Klo, oder beim Duschen. Weil sich das besser anfühlt." Mit solchen Formulierungen etablieren wir allmählich das Konzept der Privatsphäre, und das in beide Richtungen. Denn auch wir achten Grenzsignale, die übrigens schon das Wickelkind zeigt, wenn es sich abwendet, weil ihm nicht nach Kuscheln zumute ist. So erfährt es, dass auch seine Körper- und Gefühlsgrenzen eingehalten werden. Eine gute Grundlage.

"Gesundheitskompetenz wird im Elternhaus etabliert", erklärt die Kindheitspädagogin Schneider, das war Forschungsthema ihrer Doktorarbeit. Andere Studien zeigen: Wer seinen Körper mag, kann jetzt und im späteren Leben besser für sich sorgen. Wer sich mit seinem Körper auskennt, bekommt ein gutes Körperbewusstsein.

Papa, Mama und Erziehende spielen dabei eine Riesenrolle. Genau genommen sind wir Dolmetscher, wir entschlüsseln das Wohl und Wehe im Körper. Indem wir Signale benennen, heben wir sie fürs Kind auf die Ebene einer bewussten Körperwahrnehmung: Das Kita-Kind spürt einen Kloß im Hals, Druck auf der Brust oder Bauchweh: Hat es Streit gegeben? Bist du traurig? Wir übersetzen, wie unser Körper schlechte und gute Gefühle anzeigt – und zeigen, was dagegen hilft von Kuscheln über Zurückziehen bis Besprechen. Genau so geht es mit der Einordnung in ein kleines oder ein großes Aua, und mit der Frage, ob man deshalb zu Hause bleibt oder in die Kita kann. Das ist Selbsterkenntnis in Reinform.

Babykörper von Mädchen und Jungen sind quasi gleich. Behandeln wir sie gleich? Wir würden schwören, ja. Studien zeigen, dass es nicht so ist. Und so urteilen auch Kinder schon nach wenigen Jahren unterschiedlich über Körper, wie Anette Schneider erforscht hat: "Wir haben Vier- bis Sechsjährige gefragt, welche Körpersilhouette sie später gern hätten. Bei den Jungen sagte je ein Viertel, sie wären gern dicker oder dünner, die Hälfte plädierten für die Mitte. Bei den Mädchen wählten mehr als 60 Prozent die dünnere Körperform." Ach weh, so früh wirken Schönheitsstereotype. Wir Eltern befürchten Bodyshaming, Fitnesswahn, Magersucht oder Selbstzweifel beim größer werdenden Kind.

Von uns haben sie das nicht! Na ja, natürlich beobachten Kinder unser Verhalten. Was sagen wir zum Mamakörper? Was zeigen Plakate und die Werbung? Das ganze Umfeld redet mit zu Körperbildern, vom Erzieher mit Muskeln und Tattoos bis zur Oma. Uns Eltern bleibt die Kommentarfunktion: Wir sollten immer wieder sagen, was wir davon halten – und vor allem, dass nicht jeder Mensch perfekt sein muss und kann.

Dabei sind auch wir Vorbilder, von der Art, wie wir uns im Spiegel betrachten und wie wir Stellung beziehen angesichts perfekter und gewöhnlicher Körper. Es spielt auch eine Rolle, wie wir kindliche Körper beurteilen (besser zurückhalten und eher Können und Anstrengung loben, weniger das Aussehen). Hier wird Erziehung kompliziert, das gibt auch Annette Schneider zu: "Denn einerseits sollten wir Kinder so annehmen, wie sie sind, und fördern, dass sie sich mögen, wie sie sind", also auch mit Merkmalen, die nicht dem Idealbild entsprechen. Andererseits: "Geht es beim Gewicht an die Gesundheit, sollten wir Auswege aufzeigen."

Noch eine letzte Erkenntnis: Wir sind alle unterschiedlich – und das ist okay. Kinder werden stark und empathisch, wenn sie sehen, dass wir alle im selben Boot eines Körpers sitzen, mit dem wir Tolles machen können, allem voran: leben! So erwächst Respekt. Und nun? Ist klar, dass Körperlieder wie das "Lied über mich" nicht nur Babyunterhaltung sind, sondern das Bewusstsein verändern. Also singen wir: " ... Und jetzt winke ich dir zu, hallo du, du, du!" Hallo, mein Kind, das bin ich. Und das ist dein Körper. Das bist du!

Das Buch "Aufklärung von Anfang an" (Kösel Verlag, 20 Euro) von ELTERN-Autorin und Sexualwissenschaftlerin Christiane Kolb gibt Eltern eine gute Basis für die Vermittlung eines positiven Körperbildes und den Umgang mit Werten zu Liebe und Sexualität. Einfühlsam und nah am Elternalltag.

Schöne Bilderbücher über den Körper gibt es schon für die Kleinsten:

Mein erstes Körperbuch, von Regina Schwarz. Ministeps von Ravensburger, ab 18 Monaten.

Lina, die Entdeckerin, von Katharina Schönborn-Hotter, Achse-Verlag, ab 2 Jahren.

Bruno will hoch hinaus, von Sabine Ziegelwanger, Achse-Verlag, ab 2 Jahren.

Überall Popos, von Annika Leone, Klett Kinderbuch, ab 4 Jahren. Herrliche Körpervielfalt!

ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie der Universität München. Die Psychologin erforscht die Entwicklung des moralischen Selbstkonzeptes in der Kindheit und Jugend sowie die Rolle von Bindungssicherheit und Eltern-Kind-Interaktion für die sozial- emotionale Entwicklung.

ist Professorin für Kindheitspädagogik, hat zehn Jahre an der SRH Hochschule in Heidelberg gelehrt und leitet die Arbeitsgruppe Körperkonzepte und Organwissen. In einer großen Studie hat sie intensiv zum Thema Körperbewusstsein bei Kindern geforscht und darüber promoviert.

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